Tagebuch 3
Tagebuch 3
Wer den Traum von der einsamen Wildnis im Norden Europas träumt, der ist hier am Ziel seiner Träume. Uns erwartet eine atemberaubende Landschaft, sieben schwedische und norwegische Nationalparks in der Umgebung. Sven und Susanne haben sich hier mit ihren Jungs einen kleinen Traum erfüllt. Sven war übrigens beim BdP. Und später wurde er vom Pfadi zum Wildnisführer. Susanne und Sven wollen andere an ihrem Traum teilhaben lassen:
„Wir sind keine Auswanderer sondern Einwanderer“, sagt Sven. Im Norden Norwegens hat er mit seiner Frau Susanne eher zufällig bei einer Urlaubsreise ein neues Zuhause gefunden. Gemeinsam haben sie 2005 einen 100 Hektar großen, still gelegten Bauernhof, ein kleines Stück über dem Polarkreis gekauft. Der Wildnisführer und die Künstlerin leben den Traum von einem sanften Tourismusprojekt in der arktischen Wildnis. Noch stehen sie am Anfang und die kommunalen Behörden machen ihnen das Leben schwer. Doch sie haben Ausdauerkraft. Bewusst verstehen sie sich als Einwanderer, sie sind nicht aus Deutschland geflohen. Vielleicht kehren sie eines Tages zurück.
In Rokland, gut 100 Kilometer vor Bodö und der Fähre zu den Lofoten, verlässt man Norwegens Nord-Süd-Verbindung die E6 und das Saltedal und fährt noch gut 20 Kilometer auf einer Schotterpiste in ein Seitental. Plötzlich öffnet sich das Evenestal und man blickt in die Weite des norwegischen Gebirge, des Fjell. Wenn man am Ende der Fahrstraße angekommen ist, dann liegt dort in Storengan der Hof von Sven (38), Susanne (35), Lasse (4) und Bastian (2). Ein großer norwegischer Nationalpark im Fjell grenzt direkt an. Wer hier wandert, der erlebt alle paar hundert Meter neue starke Eindrücke. In der Umgebung liegen sieben norwegische und schwedische Nationalparks. Eine Landschaft, so schön, das man den Atem anhält. Von ihrem Grundstück blickt man direkt auf ihren mächtigen 1700 Meter hohen Hausberg, den Satertind, der in der spätabendlichen Sommersonne orange schimmert.
Abends wird es laut auf dem Hof von Susanne und Sven. Denn dann werden Niko, Pit, Copy, Nannuk, Mietek und Smilla unruhig. Die sechs Huskys warten darauf, dass Sven ihnen ihre Mahlzeit aus Kraftfutter zubereitet und serviert. Wenn es soweit ist, dann ist der Spuk in fünf Minuten vorbei. Sven mischt das Futter mit Wasser an, gibt jedem Hund einzeln sein Futter und kurz danach sind die Näpfe leer. In dieser Zeit ist jeder Hund für sich, denn sie haben untereinander eine „deutliche Sprache“, wie Züchter Sven Kisch-Rumschöttel es nennt.
Es sind stattliche Tiere, eine „reinrassige Mischung“ aus Grönlandshund und Sibirischem Husky. Sie sind groß, rund 50 Kilo schwer und kräftig. Auf dem Hof in der Arktis über dem Polarkreis in Norwegen werden sie auf Kraft trainiert und nicht auf Schnelligkeit. Sven fährt mit ihnen nie Galopp, immer nur Trab und Gang, damit die Hüften der Tiere geschont werden. Für den Hof sind sie das wichtigste Transportmittel von November bis Mai, wenn hier Schnee liegt.
Trainiert werden sie ab Mitte August, wenn hier 1500 Kilometer nördlich von Oslo der Herbst beginnt. Dann ziehen sie zunächst für Kurzstrecken von zwei bis drei Kilometern Sven auf einem Gefährt, das an ein Mondauto erinnert. Es besteht aus Bodenplatte, vier Reifen, Lenkrad, Sitz und Bremse. Es gilt dabei die Hornhaut aufzubauen. Nach einer Unterbrechung während der Elchjagd im September – die Zeit ist zu gefährlich – wird das Training langsam gesteigert. Und wenn dann endlich der Schnee kommt, geht es richtig zur Sache. Sven nutzt sie für den Holztransport und für ausgiebige, Schlittentouren, auch mit Gästen. Jeder Hund zieht auf langen Touren sein eigenes Körpergewicht, bei kurzen Einsätzen auch das Zwei- bis Dreifache.
Sven experimentiert mit der Züchtung, will robuste, kräftige und widerstandsfähige Hunde. Entscheidend bei der Züchtung sind Fell, Körperstatur, Benehmen, Charakter und Intelligenz. Leithund Niko (Fotos oben) hat Sven schon acht Jahre. Sven hat seit 1992 als Wildnisführer in Norwegen, Alaska und Kanada gearbeitet und dabei die Huskys kennen gelernt.
Doch er experimentiert nicht nur bei der Züchtung. Auch in der Landwirtschaft gehen Sven und Susanne neue alte Wege. So trocknen sie das Heu für ihre Ziegen und Hühner auf so genannten Schwedenzäunen. Die Technik nennt man hier Hesjn. Der Vorteil: das Heu trocknet schnell und nimmt vom Boden keine Feuchtigkeit mehr auf. Der Nachteil: es ist viel Arbeit. Wenn Susanne und Sven Glück haben, sind Gäste auf dem Hof, die mithelfen. Denn die beiden träumen davon, ihren Hof auszubauen. Bislang haben sie eine Gäste Hütte, es sollen drei weitere mit Platz für 30 Gäste werden. Diese können dann in die Landwirtschaft hineinschnuppern und Touren in die Wildnis unternehmen. Es erwartet sie das größte zusammenhängende Wildnisgebiet von Europa mit sieben Nationalparks. Im Winter kann man hier ausgedehnte, mehrtägige Hundeschlittentouren machen.
Doch weil ihre Idee von sanftem Tourismus neu ist, haben sie es nicht leicht. Die zuständige Kommune war lange Zeit skeptisch und nun haben auch noch ein Nachbar und eine samische Familie, die hier ihre Rentierherden weiden, dagegen geklagt. Doch Sven und Susanne geben so leicht nicht auf. Eines Tages wird es sich er klappen.
Fotos: Oben der Hof und Emma beim Kämmen von Hofhund Ronja, einem sehr geduldigen Exemplar. Unten: Die Kinder haben sich auf Anhieb verstanden. Melanie beim Einsatz auf dem Hof. Mit Sven in der Wildnis.
Wir dürfen auf dem Hof drei sehr abwechslungsreiche Tage verbringen. Nicht nur das Wetter wechselt zwischen Hochsommer und Herbststurm, auch die Erlebnisse sind sehr vielfältig. Am ersten Tag helfen wir beim Aufstellen der Schwedenzäune und statten sie ordentlich mit Gras aus. Leider führt das bei mir zu außergewöhnlich heftigen Heuschnupfenattacken und geschwollenen Augen. Wir grillen gemeinsam, besuchen den Badeplatz am Gebirgsfluss, in den Emma als einzige ganz hinein springt. Wir besuchen Nachbar Oystein und seine Frau Randi einige Höfe weiter. Er fertigt nach samischer Technik sehr hochwertige Messer („Samekniv“) an. Ich kann ein bisschen allein durch die herrliche Landschaft wandern und mit Sven sogar eine kleine Tour durch die Wildnis machen. Unvergessliche Tage. Und am Abend scheint uns der Hausberg, der Satertind orange ins Wohnmobil.
Susanne und Sven versuchen hier in der Nähe des Polarkreis ein Zentrum für Gäste aufzubauen, die die Wildnis suchen. Mehr über ihre Arbeit unter www.arctivity.com
In der Wildnis
Dienstag, 21. Juli 2009 bis Donnerstag, 23. Juli